ÜBER

Die Malerei von Maruša Šuštar bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Landschaft und Figur und kartiert deren wechselseitige Beziehungen, wobei sich das Abstrakte und das Konkrete in einem ständigen Wechselspiel verschieben. Ihre Werke eröffnen einen besonderen Blickwinkel. Figuren, die in weiten Landschaften auftauchen, erscheinen wie Punkte auf einer Landkarte, dem distanzierten Blick unterworfen – ein Blick, der dem Betrachter gehört, aber zugleich außerhalb seiner selbst zu wirken scheint.
Die dargestellten Szenerien sind geografisch präzise bestimmt, manchmal sogar kartografisch erkennbar, da sie durch Namen von Gebieten, Ländern, Orten, Straßen oder Wegen definiert sind. Die malerischen Vorlagen sind ganz konkret, obwohl ihre Ausgangspunkte im Endbild abstrahiert und durch die Materialität der Farbmassen transformiert sind. Die Künstlerin entnimmt sie fotografischen und Satellitenaufnahmen, meist aus dem Dienst Google Earth oder aus Dokumentarreportagen von National Geographic, aber auch aus eigenen Aufnahmen. Es handelt sich meist um Readymade-Elemente, die im postmodernen Malereidiskurs eine bedeutende konzeptuelle und prozessuale Rolle spielten. Durch sie wurde die Unmittelbarkeit des Sehens durch ein „Interface“ ersetzt – das Bild als Modell, eine bereits kodierte Übersetzung des Blicks. Gleichzeitig wurde durch das technologische Vermitteln die Welt der Bilder transparenter und zugänglicher.
Für Maruša Šuštar ist die Verwendung solcher Vorlagen einerseits ein selbstverständliches malerisches Hilfsmittel, andererseits ein bedeutungstragendes semiotisches Zeichen. Readymade-Bilder sind für sie Daten, die einen ungewöhnlichen Blick ermöglichen: Die Künstlerin wählt erhöhte Perspektiven, die aus der Sicht alltäglicher, frontaler Welterfahrung kaum präsent sind. Die Wahl des Bildausschnitts impliziert Distanz, da sie einen entfernten Blick aus der Vogelperspektive erzeugt – eine Perspektive, aus der die Welt wie ein Ameisenhaufen erscheint und die Figuren wie Flecken in einem CinemaScope-Raum. Das Bildfeld deutet auf einen begleitenden, ständig präsenten Blick hin – unabhängig von unserem Wissen und Bewusstsein. Es ist ein Blick, der eine Vielzahl von Standpunkten aller anwesenden Körper umfasst, ein einheitlicher Blickwinkel auf eine Vielzahl von Individuen. Solch ein Blick scheint nicht der menschlichen Perspektive zu gehören, sondern ist entmenschlicht, desubjektiviert – der unsichtbare Blick einer verallgemeinerten Übermacht. Diese Distanz liegt in der Allsehung, die fremd und unnatürlich wirkt, da sie die Überlagerungen und Verdeckungen ausschließt, die das alltägliche Seherlebnis prägen. Im Kontext der überwachten, entblößten und externalisierten modernen Gesellschaft entspricht dieser Sichtbarkeit am ehesten das panoptische Schema. Foucault definierte den Panoptismus als ein „rein architektonisches oder optisches System“, das auf der Einbettung von Körpern in den Raum im Sinne hierarchischer Organisation und Machtverhältnisse basiert, wobei entscheidend ist, dass alle Körper dem Sichtfeld unterworfen sind. Das Individuum ist sichtbar, kann aber selbst nicht sehen; es ist „Objekt der Information, niemals jedoch Subjekt der Kommunikation“.
In Šuštars Malerei ist das Bewusstsein für Machtverhältnisse in der globalisierten Welt ausdrücklich präsent. Häufig basieren ihre malerischen Vorlagen auf Luftaufnahmen von Krisengebieten und geografischen Zielen des neuen westlichen Kolonialismus (Irak, Iran, Afghanistan, Israel). Bemerkenswert ist, dass gerade die Gemälde, die New York darstellen, sich in ihrer Komposition und Stimmung von den anderen unterscheiden. Die New Yorker Bilder vermitteln eine düstere, seelenlose Atmosphäre, die sich aus einer gedämpften, tonalen Farbpalette und dem geometrischen urbanistischen Raster ergibt, das wie ein Schachbrett für das Verschieben von Figuren wirkt und die organisatorischen Disziplinarmechanismen der modernen Gesellschaft manifestiert.
Die Landschaftsoberfläche bildet bei Šuštar die materielle Grundlage des Bildes. Die malerische Faktur, obwohl durch autonome Bewegungen von Formen und das Zusammenspiel von Farbflecken geprägt, ist kein abstraktes Feld, sondern geht in ihrer Mikrostruktur von einer naturalistischen Basis aus. Die Topografie wird durch piktografische Elemente dargestellt. So ist Šuštars Faszination für alte geografische Karten nicht verwunderlich, die sie gelegentlich in ihre Werke einbezog. Auf alten Karten spielten dekorative und piktografische Elemente eine wichtige Rolle bei der Darstellung der Erde, bevor sie später durch utilitaristische Symbole ersetzt wurden, die mehr mit Messungen und Entfernungen zu tun hatten als mit der Landschaft des jeweiligen Gebiets. Šuštar schenkt der Körperlichkeit des Bildes große Aufmerksamkeit: das Ausbalancieren unterschiedlich dichter und bearbeiteter Farbmassen, der Wechsel zwischen Spachtel- und Pinselspuren, spontanes Tropfen und gezielte Flecken erzeugen eine chaotische Materialität und Lebendigkeit der Faktur – eine sinnlich erfahrbare Bildoberfläche, die das Empfinden der Erdoberfläche darstellt. Die optische Taktilität in der Wahrnehmung dieser Bilder – bei der das Auge wie ein tastendes Organ wirkt – strebt nach einer magischen Verwandlung des Blicks in Berührung und Mittel der Verbindung. In der haptischen Textur zeigt sich das Bestreben der Künstlerin, das Ursprüngliche der Erde zu entdecken und sich anzueignen. Das „Einschreiben“ der Landschaft bedeutet ihr Erleben und ihre Zugehörigkeit.
Die Gestaltung der Oberfläche und Landschaft ist in diesen Bildern primär. Erst danach steht die Erde zur Verfügung für das Kartieren, Vernetzen und Einzeichnen durch den Menschen, und es erscheinen darauf Fragmente von Karten, Grundrissen, architektonischen Zeichnungen, Körpern, Schriftzügen und Zeichen, die mit ihren Reminiszenzen die Landschaft zivilisieren. Doch im Grunde sind diese Landschaften als Produkte natürlicher Kräfte und zufälliger Konfigurationen angelegt, unabhängig von der disziplinierenden Geometrie des Panoptikums und der instrumentalisierten Organisation menschlicher Leben. Doch ihnen haftet nichts Romantisches an. Vielmehr wirken sie wie metaphysische, apokalyptische Visionen, jenseits menschlichen Willens und Könnens, wo einzig die Unterwerfung unter die Macht der Natur und die Zerbrechlichkeit des Lebens möglich erscheint.
Die Figuren in diesen Weiten fungieren als Ankerpunkte. Bei genauer Betrachtung sind sie Flecken, die Distanz und Differenz zum Feld erzeugen, in das sie eingebettet sind. Sie sind in scheinbar zufällige Gruppen aufgeteilt, die sich in Individuen auflösen, die hier eher als Vertreter einer Spezies denn als Einzelpersonen empfunden werden. Die charakteristische distanzierte Perspektive und Anonymität, die den mentalen Zugang zur Figur erfordert, um ihre Handlung zu erkennen, erinnern an Szenen des spanischen Malers Juan Genovés. Seine Bilder thematisieren Gewalt, Unterdrückung und Terrorismus, während Šuštars Werke nicht den Eindruck kollektiver Wirkung der Masse erwecken, sondern eher eine Gruppe verstreuter und vertriebener Blickwinkel. Ihre Protagonisten beunruhigen uns durch einen Eindruck von Untätigkeit. Sie erscheinen auf der Bühne als Beobachter, die auf ein vergangenes Ereignis hindeuten oder eine Ahnung ausdrücken, die außerhalb des Bildfeldes bleibt. Ihre Bewegung im Raum ist umherirrend, ohne erkennbaren Zweck oder definierte Handlung. Je länger wir sie betrachten, desto mehr scheint nur das bloße Dasein dargestellt zu sein.
Nadja Gnamuš
1. Michel Foucault, Nadzorovanje in kaznovanje. Nastanek zapora, Ljubljana: Krtina, 2004, str. 222, 225 2. Ibid, str. 220. 3. Edward S. Casey, »Prologue: Mapping It out with/in the Earth«, v: Earth-Mapping. Artists Reshaping Landscape, Minneapolis: University of Minnesota Press, 2005
SLOWENISCHE ZEITGENÖSSISCHE MALEREI: DIE ERSTE GENERATION NACH NULL

Zu den Bildern von Maruša Šuštar könnte man von einer besonderen „Figuration“ sprechen, die sie in die Malerei eingebracht hat – von „Zusammenziehungen“, „Verkleinerungen“, einer besonderen Ausdruckskraft, die für bestimmte Phasen typisch ist; wichtig sind auch der „Manierismus“ und die „Disproportionalität“ der dargestellten Figuren sowie die Rolle des „Hintergrundes“, also die Rolle und Bedeutung des Raumes – des „Werdens des Raumes“ – in ihren Gemälden. Doch das soll an anderer Stelle behandelt werden. Hier interessiert uns das Schema des Sehens, des Blicks, den die Malerin in ihren Werken einführt. Es geht also um die Darstellung als Funktion des Bildes im Verhältnis zum Blick – wo wir von der sogenannten skopischen Triebstruktur sprechen können, in der unser Blick – nach Lacan – „das Objekt ist, das wir unbewusst und bewusst vergessen haben, das aber ständig als triebhafte Zone, als flüssiger Mechanismus zurückkehrt … Was ist Malerei? Natürlich sagen wir nicht grundlos, dass das Bild eine Funktion ist, in der sich das Subjekt als solches wiederfinden muss. Worum geht es, wenn sich das menschliche Subjekt entscheidet, daraus ein Bild zu machen, diesen Blick zum Mittelpunkt zu machen? Manche sagen, der Künstler wolle im Bild das Subjekt sein, und die Malerei unterscheide sich von anderen Künsten dadurch, dass der Künstler sich uns im Werk als Subjekt, als Blick aufzwingen will.“
Das Subjekt, die Malerin: Maruša Šuštar schreibt sich in das Bild als Blick ein – als Blick von oben, wie ihn Nathalie Sarraute in ihren Roman einführt:
„Sie kamen von überall her, als wären sie aus der feuchten Schwüle der Luft emporgeschossen, und liefen leise dahin, als sickerten sie aus Mauern, ummauerten Bäumen, Bänken, schmutzigen Gehsteigen, Plätzen. In langen, dunklen Trauben zogen sie sich zwischen den toten Fassaden der Häuser hin. Hier und da verdichteten sie sich vor den Schaufenstern zu kompakteren, unbeweglichen Haufen, die leichte Wirbel wie bei sanften Verstopfungen bildeten. Aus ihnen strömte eine hoffnungslose Ruhe, eine Art leeres Wohlgefallen. Sie betrachteten sorgfältig die Wäschehaufen im Weißen Wäschegeschäft, die geschickt verschneite Hügel nachahmten, oder die Puppe, deren Augen und Zähne gleichmäßig aufleuchteten und erloschen, aufleuchteten und erloschen, immer in gleichen Abständen erneut aufleuchteten und erloschen. Sie schauten lange, bewegten sich nicht weiter, vertieft standen sie vor dem Schaufenster und verschoben den Moment des Aufbruchs ständig auf das nächste Intervall. Die braven Kinder, die sie an der Hand hielten, waren des Betrachtens überdrüssig und warteten geduldig neben ihnen. /Tropismen, 1957/“
Das Bild ist unter dem Blick ein Fleck, „macchia“, der Korrellat des Blicks, also ein „Ungeheuer“, „monstre“ – im archaischen Sinn ein Zeichen, in dem sich, wie Slavoj Žižek sagt, „die unerträgliche Wahrheit über mich selbst verkörpert“. – Ist diese Wahrheit wirklich unerträglich? Hier versagt die Psychoanalyse, entgleist. In Wahrheit liegt in Marušas Bildern Lebensfreude und Heiterkeit; eine Freude, die nahe bei dem liegt, was Henri Matisse beschreibt: … (Fortsetzung folgt)
Der Blick in Šuštars Gemälden ist eine innere Projektion in den (Ab)grund des Bildes und der Malerei, die jedoch nichts zeigt – sondern offenbart – etwas, das wesentlich abwesend, verborgen, ins Unterbewusstsein verdrängt ist… Die Malerin bleibt dem Bildschirm als Übertragungskanal für besondere und originelle Visionen treu, ohne die Grundlagen der Malerei in Frage zu stellen. Alles geschieht im gewählten Bildausschnitt (Meta-Bild), der für sich vollkommen ausreicht. Die Malerin sucht nicht nach dem „Bild der Bilder“, sondern inszeniert auf vielen Leinwänden die eigenständige narrative Kraft figurativer bildnerischer Beziehungen.
Die Frage der Perspektive in den Bildern von Maruša Šuštar wirft eine Reihe von Fragen auf, die nicht sofort lösbar sind. Es scheint, als ob die Bildfläche im Vordergrund entfaltet wird – ohne Horizont, der eine dargestellte Landschaft definieren würde. Auch die Figuren, die in jedem Bild erscheinen, sind disproportional in sich gekrümmt, „gefaltet“ oder „vervielfacht“, was den Bildern einen besonderen ästhetischen Effekt verleiht. Alles spielt sich auf einer Ebene ab, in einem „aufgesogenen Schleier“… Das Bild ist nicht revolutionär in der Kompositionsstruktur, doch in der Platzierung der Figur bringt es eine Reihe bildnerischer Neuerungen mit sich und positioniert die Künstlerin unter die Modernisten. Ihre Figürlichkeit stellt ein eigenes „Forschungsfeld“, champs d'investigation, dar, das in der slowenischen bildenden Kunst bisher unbekannt war; wo der künstlerische und nicht der mimetische Zugang entscheidend ist. Vorrang hat der moment de l’artiste und nicht der moment de la nature, auch wenn überall ein gewisser Pleinairismus spürbar ist. Wichtig ist die kreative „Permutation“ in der Behandlung der Figuren, verbunden mit der bewussten Entscheidung der Malerin, das Bild als Bildschirm zu betrachten, der ein möglichst freies Spiel mit der Figur und ihren „Drehungen“ erlaubt. Und dennoch wächst die Figur aus dem Bild als gleichwertiges Element; das System der Malerei ist vorgegeben, der Blick wandert von unten nach oben und umgekehrt, ohne durch ein figürliches Schema fixiert zu sein. Er wird durch eine subjektive Sicht bestimmt, die keine traditionelle Betrachtung mehr zulässt.
Der „Modernismus“ der Malerin zeigt sich vor allem in ihrem Verständnis der Figur, in der figürlichen Disproportion, sodass man vom geteilten und wiedervereinigten Körper des Bildes innerhalb einer autonomen bildnerischen Struktur sprechen kann. Die „Drehungen“, Wendungen und „Sprünge“ der figürlichen Elemente – sowohl der Gruppen als auch der Teil-Identifikationen – sind nur im geschlossenen Feld einer metaphorischen Phantasie lesbar. Der etablierte kunsttheoretische Diskurs kann dieses neue, reine perspektivische Element nicht mehr erfassen, das den Betrachter zu einer anderen, veränderten Sicht zwingt. Das Bildsubjekt ist nicht illusionistisch, sondern mit der Landschaft in die Fläche abgeflacht; das Auge verschmilzt mit der Oberfläche, zu einer subjektiven Masse, die das gesamte Bild überzieht. Es handelt sich also um einen reinen Subjektivismus des Malens und des Blicks, um eine Assimilation des Auges mit dem Bild. Und dennoch könnte man, mit Matisse, auch sagen, dass ihn „nicht die nature morte oder die paysage interessieren, sondern die Figur, die ihm erlaubt, ein fast religiöses Gefühl für das Leben am besten auszudrücken“ (1908 in Grande revue). Die Bilder sind eine direkte Übersetzung von Emotionen und unbewussten Zuständen ins Bild. Die menschlichen Figuren auf diesen Leinwänden sind nie im Freien dargestellt, auch wenn man das Gefühl hat, dass sich die gesamte Szene in einem lichten Innenraum abspielt. Das ist jedoch eine Folge der intimen Malweise. Die Figuren sind disproportional, aber nur deshalb, weil sie nicht mimetisch, also nicht nach der Natur gemalt sind. Maruša malt Bilder, keine Natur. In diesem Sinne ist die Bildperspektive äußerst „rigoros“, auch wenn es scheint, dass es sich nur um Ausschnitte, „partielle“ Darstellungen handelt, die auch anders angeordnet sein könnten.
Die besondere bildnerische Sprache und „Körperlichkeit“ bilden eine repräsentative Struktur, die die Zeichenhaftigkeit des Bildes, seine Phantasie, sein unerschütterliches Verlangen zu leben, zu pulsieren im materiellen Raum des Bildes betont. Es bedarf eines erotischen Impulses, den die Malerin in jedem neuen Werk entdeckt. Nichts Rationales kann den Blick erklären, der über das Bild gleitet. In dieser Malerei ist eine klare kreative Methode spürbar, un progetto dolce, ein Produkt der Fantasie der Malerin, ohne expressive Rhetorik, der ein solches Projekt verfallen könnte. Wichtig ist allein das persönliche kulturelle Universum und der Dialog im Verhältnis arte-arte. Die Malerin konstruiert ihre Visionen nicht mehr im Verhältnis arte-natura oder gar arte-idea-ideologia, noch weniger in Bezug auf das Soziale oder die Gesellschaft. Entscheidend ist die künstlerische Vision, nicht das Verhältnis des Künstlers zur greifbaren und sichtbaren Realität. Maruša Šuštar erkennt keine Differenz, keine Distanz zum gemalten Raum an, sondern im Gegenteil, nur die Phantasie; die den Autor zur äußersten, intimistischen Verschmelzung, zur Identifikation ohne Vergleich verpflichtet. Die Wirklichkeit des Werks ist nicht außerhalb dieser Verpflichtung zu suchen, nicht jenseits der bewussten Entscheidung für die Treue zum malerischen Metier. Die Selbstpräsenz des Bildes und des Malers in Bezug auf die „innere Erfahrung“ ist das wichtigste Merkmal künstlerischen Daseins.
Text für das Buch von Andrej Medved: Zeitgenössische slowenische Malerei – Die ersten Generationen nach dem Jahr Null
Anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Cankarjev dom in Ljubljana, März 2014
MARUŠA ŠUŠTAR: PANOPTIKUM
Galerie Simulaker, Novo mesto, 5. – 26. April 2012, Begleittext
Dank ihrer Frische und bildnerischen Überzeugungskraft hat Maruša Šuštar in den letzten Jahren innerhalb ihrer Generation eine außergewöhnliche Bekanntheit erlangt. Die Künstlerin gehört zu jenem nicht besonders zahlreichen Kreis zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, die klassischen künstlerischen Techniken treu bleiben; ihre Erforschung des Mediums Malerei führte zu einer allmählichen Entwicklung einer eigenständigen und originellen bildnerischen Poetik. Ihre Werke zeichnen sich durch eine besondere Strukturierung der Bildfläche aus: Für Šuštars Leinwände ist ein konsequenter Einsatz des Blicks von oben auf eine irdische Landschaftsoberfläche charakteristisch. Eine solche Disposition ermöglicht eine Darstellung aus distanzierter Perspektive, die – durch die verwendeten Elemente – sowohl Ähnlichkeiten mit klassischen kartografischen Werken als auch mit modernen digitalen Werkzeugen wie Google Earth nicht verbirgt. Die Künstlerin erzielt auf diese Weise einen bedeutenden Verfremdungseffekt: Das Gesehene kann nicht Ergebnis einer menschlichen Perspektive sein – vielmehr handelt es sich um den Blick eines optischen Apparats, eines allsehenden technizistischen Auges, das über der Landschaft schwebt und deren Diesseitigkeit dokumentiert. Der Blick wird entmenschlicht und unnatürlich, erhält dadurch jedoch größere Sichtweite und Übersichtlichkeit. Gerade diese Allsehung rückt den Aspekt (sozialer) Kontrolle in den Vordergrund, ein inhaltliches Leitmotiv in Šuštars Malerei der letzten Jahre.
Die Landschaften sind bevölkert von einsamen Wanderern (auf manchen Leinwänden versammeln sie sich zur Menge), die als unidentifizierte Gestalten in den Schichten eines fluiden, beinahe palimpsestartig konstruierten Raumes verloren gehen. Während die Figuren und ihr Tun schwerer zu identifizieren sind, wird dem Raum in der Regel mehr Konkretheit zugewiesen – durch Toponyme oder Manifestationen realer Reliefs (wie Grundrisse mittelalterlicher Gebäude und Städte oder geheimnisvolle Bodenzeichnungen in Südamerika …) lässt er sich oft genauer bestimmen. Die Ortswahl ist nicht willkürlich – unübersehbar ist die Anspielung auf die Vergangenheit, auf verschwundene Kulturen des Ostens und Westens, wobei sich dies mitunter mit Akzenten überlagert, die eindeutig auf die Gegenwart verweisen – insbesondere auf Konfliktzonen, die aus politischer oder geostrategischer Sicht heute von Bedeutung sind (z. B. der Nahe Osten).
Die Landschaften auf Marušas Leinwänden gleiten allmählich ins Feld des Abstrakten: gestisch ausgelassene, jedoch farblich gedämpfte Farbaufträge heben ihre Faktizität auf, und die Landschaften verlieren scheinbar an Festigkeit; das Flimmern der betont pastosen Farbschichten verwandelt sie in eine poetische Vision, in der nur das Geschehen an der Oberfläche andeutet, dass wir es mit einem festen physischen Raum zu tun haben. Die Haut des betrachteten Raums ist inhaltlich vielschichtig und differenziert: Einzelne Elemente aus der Alltagswelt – besonders auf jüngeren Leinwänden – erweitern den Kontext und die Aussagekraft der Bilder assoziativ. So bleiben die Werke in ihrer Bedeutung offen, kommunikativ und äußerst sinnlich; wir haben es mit eigenständigen Weltvisionen zu tun, die vom Betrachter viel Vorstellungskraft verlangen.
Matjaž Brulc
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